U10 Mannschaft des SK Marburg qualifiziert sich für die Deutschen Meisterschaften – Bericht von Merih Cimen

„Also erwartet nicht zu viel, aber Angst braucht ihr auch nicht zu haben.“ So endete die E-Mail von Helge wenige Tage vor der hessischen Mannschaftsmeisterschaft, die dieses Jahr am 26.09. – trotz Corona – in Bad Homburg ausgetragen werden konnte. Dieses Memo hatten unsere Jugendlichen aus der U10 wohl verpasst, das Ergebnis: Platz 3 und die Qualifikation zu den Deutschen Meisterschaften.    
Aber der Reihe nach…

Acht Mannschaften mit insgesamt 37 Spielerinnen und Spielern trafen sich am vergangenen Samstag mit ihren Masken und Visieren im Bürgerhaus Kirdorf. Mitgereiste Eltern und Betreuer/innen durften zwar ins Gebäude, leider aber nicht in den überaus großen und gut belüfteten Spielsaal. Gespielt wurde ein Rundenturnier mit einer Bedenkzeit von 15 Minuten pro Spieler/in mit 5 Sekunden Inkrement pro Zug – also jede Menge Zeit für ein Schachspiel, dazu aber später mehr. Wichtig ist noch zu erwähnen: Die ersten zwei Plätze des Turniers qualifizieren sich für die Deutschen Meisterschaften.
Für Marburg spielten: Fabian Dietrich, Lukas Jung, Rafael Piller und Paul Pogge von Strandmann.

Die Ausgangslage sah für unsere Mannschaft alles andere als rosig aus. Gesetzt wurden wir in die untere Hälfte der Teilnehmerliste: auf Platz 5. Um ein Gefühl für die Spielstärke der Mannschaften zu bekommen, sei hier am Rande erwähnt, dass der DWZ-Schnitt des ersten Brettes der ersten fünf Mannschaften bei 1346 lag.

In der ersten Runde ging es gegen den Vorjahressieger Makkabi Frankfurt. Entweder lag es an der langen Anfahrt, der morgendlichen Müdigkeit oder der fehlenden Einspielzeit, dass unser Team die erste Runde leider 2,5 zu 1,5 verlor. Einer dieser Gründe musste es gewesen sein, denn als der Schachmotor warmgelaufen war, folgte in der zweiten Runde ein ganz souveränes 4-0 gegen die Spielgemeinschaft Eschborn-Wiesbaden. Auch in der dritten Runde gaben sich unsere Jugendlichen keine Blöße und bezwangen Bad Homburg 2 mit 2,5 zu 1,5.

Die Ergebnisse waren nicht schlecht, die Laune im Team gut, aber als anwesender Trainer konnte ich nicht anders, als etwas mulmig in die kommenden Runden zu blicken. An dieser Stelle sei nochmal erwähnt, dass sich nur die Spieler/innen sowie der Schiedsrichter im Spielsaal aufhalten durften. Von den Ergebnissen bekamen wir aufgrund der geschlossenen Türen nur dann etwas mit, wenn einer der Jugendlichen frühzeitig fertig wurde und zur Berichterstattung ins Foyer kam.
Im Schnitt sahen wir unsere Spieler nach bereits 8 bis 9 Minuten die Tür des Spielsaales öffnen. Auch wenn wir aus der Ferne einen nach oben gereckten Daumen sahen, welcher einen Schwung Endorphine bei uns freisetzte, blieb ein leicht säuerlicher Beigeschmack: Die Partien gingen für diesen Zeitmodus von 15+5 zu schnell zu Ende.

Als Trainer, der predigt, dass sich die Jugendlichen beim Spielen Zeit lassen sollen, ist es schwer, gegen den Erfolg zu sprechen. Aus der Sicht der Spieler gibt es keinen Grund, die eigene Spielweise zu überdenken, warum auch, schlussendlich wurden die letzten zwei Spiele gewonnen. Allerdings folgte in der vierten Runde gegen Offenbach der Dämpfer, ein 2-2 war das Ergebnis – nach erneut wenigen Minuten. Mit 5 zu 3 Punkten standen wir nach diesem Remis auf dem dritten Platz, allerdings hatten wir mit Offenbach gegen den letzten nominell schwächeren Gegner gespielt.

Getreu dem Motto „Das Beste kommt zum Schluss“ sah der Spielplan vor, dass wir in den letzten drei Runden gegen die Top 3 der Setzliste antreten. Optimale Voraussetzungen für eine Qualifikation zu den Deutschen Meisterschaften sehen leider anders aus. In Runde 5 traten wir Bad Homburg 1 entgegen, der spätere Sieger des Turniers wurde seiner Favoritenrolle gerecht, wir mussten uns leider mit 3,5 zu 0,5 geschlagen geben und rutschten so auf Platz 4. Wir nutzten die folgende Mittagspause und spielten Fußball, analysierten Eröffnungen und bereiteten uns mental auf die kommenden Spiele vor. Erst zu diesem Zeitpunkt stellten wir fest, dass wir uns mit zwei eigenen Siegen und etwas Schützenhilfe den dritten Platz sichern könnten. Machbar wäre es, so zumindest meine Einschätzung zu diesem Zeitpunkt, allerdings müssten wir das Problem mit der Zeit in den Griff bekommen.

Als ich unsere Mannschaft vor dem Beginn der nächsten Runde zum langsameren Spielen motivieren wollte, erzählte Lukas, der zu diesem Zeitpunkt etwas niedergeschlagen war, dass seine Gegner aus den letzten Runden ihre Partien „heruntergeblitzt“ und gewonnen hatten. Das widerspreche doch dem, was ich sage, wie könne ich diese Tatsache erklären? Offensichtlich störte und beschäftigte ihn das, auch die anderen Jungs waren gespannt auf die Antwort. Die folgenden fünf Minuten werde ich mit Sicherheit für eine sehr lange Zeit nicht vergessen. Wir machten klar, was es bedeutet, schnell zu spielen, welche Folgen das auf unser aller Spiel hat und ganz klar, welchen Schluss wir ziehen können, wenn unser Gegner seine Partie blitzt… ER WIRD FEHLER MACHEN!!! Statt sich davon verunsichern und verleiten zu lassen, ebenfalls schnell zu spielen, sagen wir ab jetzt: Super, mein Gegner spielt schnell, das muss ich ausnutzen und die Fehler finden. Lukas und auch die anderen waren wie ausgewechselt, die Blicke änderten sich, von Verunsicherung war keine Spur zu sehen. Was für Folgen diese Erkenntnis auf ihr Spiel hatte, zeigte sich sofort. Nun, nicht ganz sofort: 10 Minuten später Rafael 1-0, 25 Minuten später Lukas 2-0, 30 Minuten später Paul 3-0, 35 Minuten später Fabian 4-0. Der direkte Konkurrent aus Wiesbaden wurde mit 4-0 vom Platz gefegt. Laut unserer Jugendlichen haben die Gegner sehr viele Fehler gemacht =).

Nach diesem Kantersieg holten wir uns den dritten Platz zurück. Währenddessen wurde ein erbitterter Kampf um den ersten Platz ausgetragen. Vor der letzten Runde waren Bad Homburg 1 und die kurzfristig geschlossene Spielgemeinschaft Langen-FTV mit jeweils 11-1 Punkten auf dem geteilten ersten Platz. Und genau in diesen Kampf wurden wir hineingezogen, da unser Gegner in der letzten Runde die Sges. Langen-FTV war. Diese würden also alles daran setzen, gegen uns zu gewinnen und das möglichst hoch.

Die aufmerksame Leserin, der aufmerksame Leser, wird sich nun vielleicht fragen: Seit wann können kurzfristig geschlossene Spielgemeinschaften denn um die Qualifikation für die Deutschen Meisterschaften mitspielen? Nun, sie können es nicht! Diese Info ging bei uns, den Eltern und mir als Trainer im Eifer des Gefechts vor Ort unter. Als wir auf diesen Umstand aufmerksam gemacht wurden und diese Info mit unseren Jugendlichen teilten, gab es für uns kein Halten mehr. Ein dritter Platz würde uns also für die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft reichen! Während wir unter den Tischen und hinter vorgehaltener Hand die Taschenrechner zückten, um die Frage zu klären: Reicht uns ein Unentschieden für den dritten Platz, hatten unsere Jugendlichen ganz andere Absichten. Ihr Motto, wenn wir gewinnen, dann sind wir qualifiziert!

Die letzte Runde begann und die Spannung stieg für alle – auch für die, die nicht mit nach Bad Homburg fahren konnten und Zuhause, auf Neuigkeiten wartend, gebannt auf das Smartphone blickten. Während ich vor der Tür zum Spielsaal auf und ab patrouillierte – an Sitzen war nicht zu denken – konnte ich einen Blick auf unsere Jugendlichen werfen. Sie hatten Spaß! Allen voran Rafael, der als Mannschaftskapitän erneut einen frühen Sieg für unser Team verbuchen konnte und den Daumen nach oben reckend geradewegs auf mich zulief. Die Information, dass wir an allen Brettern besser standen, ließ bei den Sympathisanten des SK Marburg die Hoffnung aufkommen, dass wir es tatsächlich schaffen könnten. 25 Minuten nach Freigabe der Bretter gewann Lukas seine Partie und stellte auf 2-0, somit durfte die Qualifikation doch gesichert sein, ein Unentschieden reicht uns doch oder etwa nicht? Wir hatten keine Zeit zu überlegen, noch während wir Lukas Sieg feierten und auf und ab sprangen, kam die Info: Paul hat gewonnen. Zu diesem Zeitpunkt könnte es unter Umständen zu einem Ausbruch von Emotionen in Form eines lauten „JAAAA“ Rufens meinerseits gekommen sein, sehr zum Unmut des Schiedsrichters. Zwischenstand: 3-0. Die Qualifikation wurde allerdings perfekt, als fünf Minuten später auch Fabian an Brett 1 seine Partie gewann. Endergebnis: 4-0, der dritte Platz und somit die Qualifikation zu den Deutschen Meisterschaften.

  

Es ist wohl überflüssig zu sagen, dass unsere Mannschaft als Mannschaft gewonnen hat. Allerdings meine ich damit nicht die gemeinsame Bewertung, sondern den Zusammenhalt, den sie gezeigt haben. Sie haben sich gegenseitig motiviert, den Rücken gestärkt, gut zugesprochen und motiviert. Siege wurden gemeinsam gefeiert, Niederlagen gemeinsam betrauert. Vorwürfe gab es keine, Zuspruch hingegen schon.

Drei Mal konnten unsere Jugendlichen 4-0 gewinnen, keine andere Mannschaft kann mit dieser Statistik aufwarten. An Brett 1 holte Fabien sagenhafte 5 Punkte aus 7 Runden, sein Gegnerschnitt lag dabei bei einer DWZ von 1177. Lukas hatte an Brett 2 ein sehr schweres Los erwischt und hatte einen etwas holprigen Start in das Turnier. Seine Leistung in der zweiten Hälfte war jedoch phänomenal. Mit 3,5 Punkten hat er sich gegen viele starke Gegner durchsetzen können. Rafael, der Mannschaftskapitän, Motivator und Berichtserstatteter unseres U10 Teams, holte 4 Punkte. Paul, der sein erstes Turnier spielte, überraschte uns alle! Mit unglaublichen 6 aus 7 konnte er lediglich ein einziges Spiel nicht für sich entscheiden. An Brett 4 hatte Paul seinen Teamkollegen den Rücken gestärkt und war unser sicherer Punktegarant.

Die Marburger Schachjugend setzt somit die positive Entwicklung fort, nach dem viertem Platz unserer U12 bei der MDVM (siehe Bericht Stefan Lehmann) kann die U10 an die Leistungen aus dem Vorjahr anknüpfen und uns erneut einen Platz bei den Deutschen Meisterschaften sichern. Diese Leistungen machen Lust auf mehr, jetzt, wie auch davor, heißt es: Trainieren, die nächste Herausforderung steht vor der Tür!

Ein großes Dankeschön an die Gastgeber der Hessischen Schachjugend, die das Turnier auch trotz komplizierten „Coronabedingungen“ stattfinden lassen konnten.